Sonntag, 30. Oktober 2011

Tag 0 29.8. Odyssee

Am 29. September 2011 habe ich den spanischen Jakobsweg mit Start in Saint-Jean-Pied-de-Port in Angriff genommen. Jeden Tag habe ich Tagebuch geführt, obwohl ich bisher nie daran interessiert gewesen bin, meine täglichen Erlebnisse aufzuschreiben. Nachdem ich einen Monat später zurück gekehrt bin, wurde ich von vielen über die Reise ausgefragt, aber mehr als "Ja, es war großartig" und einige kurze Geschichten konnte ich nicht erzählen. Die vollständige Geschichte ist einfach zu lang, als dass man sie bei einem Fotoabend oder ähnlichem vermitteln könnte. Aus diesem Grund habe ich den Blog erstellt, damit jeder, der gewillt ist, meine zahlreichen Erlebnisse nachlesen kann, Grundlage sind wie gesagt die Notizen aus meinem Tagebuch.
Fangen wir an.
Der Camino de Santiago oder im Deutschen schlicht Jakobsweg ist neben den Zielen Rom und Jerusalem einer der drei großen christlichen Pilgerwege und führt durch den Norden von Spanien nach Santiago de Compostela. Der Überlieferung zufolge liegen dort die Gebeine des heiligen Jakobus begraben, einer der zwölf Apostel Jesu Christi. Wie der Leichnam des Apostels ausgerechnet nach Santiago kam, ist bis heute nicht einwandfrei geklärt. Nachdem er sich auf spanischer Mission befand, um dort den christlichen Glauben zu verbreiten, kehrte er nach Jerusalem zurück und starb dort einen Märtyrertod. Eine Legende behauptet, dass seine Leiche über den Seeweg nach Galicien an der spanischen Westküste gebracht wurde. Der heilige Jakobus wurde daraufhin auf dem Gebiet der heutigen Stadt Santiago beigesetzt. Sein Grab wurde im 9. Jahrhundert n. Chr. wiederentdeckt und von der Kirche offiziell als dieses ausgewiesen, rasch entwickelte sich das Grab so einem beliebten Pilgerziel in der Christenheit. Wenig später errichtete man über dem Grab eine Kirche und als diese zu klein wurde eine Kathedrale, Santiago de Compostela wuchs buchstäblich über dem Grab des Apostels.
Tatsächlich hat der Jakobsweg keinen Anfang, er beginnt vor der eigenen Haustür und endet in Santiago. Diese Praxis mag in Mittelalter und Neuzeit noch sehr verbreitet gewesen sein, ist jedoch in der Moderne nur noch selten anzutreffen. Für die meisten Pilger ist der Camino de Santiago nur noch eine Route durch Spanien. Davon gibt es ebenso viele wie Sand am Meer, zu nennen seien der Camino de Norte, also der Küstenweg im Norden, die Wege ab Madrid oder Sevilla sowie der wohl bekannteste, der Camino francés.
Dieser beginnt nahe der spanisch-französischen Grenze im navarrischen Roncesvalles oder am aragonischen Somportpass. Die meisten Pilger starten jedoch im französischen Saint-Jean-Pied-de-Port und setzen dann über die Pyrenäen nach Roncesvalles über. Der Grund mag einerseits in der besseren Verkehrsanbindung gegenüber Roncesvalles liegen, andererseits jedoch für viele deutschsprachige auch das allseits bekannte Buch "Ich bin dann mal weg" von Hape Kerkeling.


Anreise nach Saint-Jean-Pied-de-Port
Der Dorfkern von Saint-Jean-Pied-de-Port
Die Nacht habe ich durchgemacht, das verspricht ein guter Tag zu werden. Gestern Abend gegen 20 Uhr sind wir von der Kartierübung aus den Alpen zurückgekehrt, wenig später ging es zu Philip, bei dem ich dankenswerter Weise mein Gepäck verstauen durfte, denn nach Hause hätte ich es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Mein Flug nach Paris geht um 6:15 Uhr, der letzte Bus zum Flughafen Tegel ist schon abgefahren, der nächste kommt erst gegen 4 Uhr, jetzt ist es 1 Uhr. Die drei Stunden auf den Bus zu warten und aber auch wirklich nichts zu tun außer zu warten und den Gesprächen einer 40-jährigen Prostituierten, einem Betrunkenen und einem Zeitungsverkäufer zu lauschen waren nicht spaßig, ich kann mich also schon einmal in Geduld üben, falls ich in Spanien lange Zeit alleine laufe. Aber alles hat irgendwann ein Ende und der Bus fährt vor, danach läuft es wie am Schnürchen. Beim Check in am Flughafen bringt mein Rucksack 11,4 kg auf die Waage, damit hatte ich nicht gerechnet, sondern eher mit weniger Gewicht. Ich bin allerdings zu müde, um mir darüber Gedanken zu machen und lege mich vor meinem Gate auf die Bank und schlafe sofort ein. Eine halbe Stunde später wache ich völlig verwirrt auf, laufe am Flugsteig umher und suche meine Kartiergruppe, bis es mir kurze Zeit später dämmert, dass ich nicht mehr in den Alpen, sondern auf dem Weg nach Paris bin.
Um vom Pariser Flughafen Orly zum Gare de Montparnasse zu gelangen, hatte ich mich vorbereitet und einige Verbindungen im Internet recherchiert. Keine von denen lässt sich durchsetzen und ich irre suchend und fragend vor dem Flughafen umher. Mein Zug geht erst in zwei Stunden, aber ohne einen blassen Schimmer wie ich zum Bahnhof komme, fühle ich mich nicht wohl. Französischkenntnisse sind so gut wie nicht mehr vorhanden, jedoch erbarmt sich der Mann am Infoschalter und teilt mir in Englisch mit, dass es einen Shuttlebus nach Montparnasse gibt und wo ich ihn finden kann. Das ist meine Rettung, der Bus kann zwar lange nicht abfahren, weil immer wieder neue Fahrgäste erscheinen, und steckt auch wenig später in einem morgendlichen Pariser Stau, dennoch ist er pünktlich am Bahnhof. So mancher Berliner Bus kann sich daran ein Beispiel nehmen.
10:10 Uhr verlässt der TGV Montparnasse, der nächste Halt ist Bordeaux, wo einige Leute mit großen Rucksäcken einsteigen, das könnten tatsächlich Pilger sein. Mit dem TGV zu fahren, ist sehr angenehm, es ist kein ICE-Standard, aber trotzdem sehr bequem und immerhin hält er sich an seinen Fahrplan, denn er erreicht Bayonne auf die Minute genau. Dort muss ich umsteigen in den "Bummelzug" nach St.-Jean, kein Mensch weiß, wo der abfährt, eine große Traube von Reisenden, allesamt mit Rucksäcken, trottet zum nächsten Bahnsteig und da steht er, der hochmoderne Zug, der uns in eineinhalb Stunden nach St.-Jean bringt, er hat den Namen "Bummelzug" wohl nur bekommen, weil er sich gemächlich durch die dschungelartige Berglandschaft schlängelt.
In St.-Jean angekommen werden wir buchstäblich an die Hand genommen und mit Hinweisschildern in die Altstadt geführt, dort findet jeder zum Pilgerbüro, wo ich mir den Pilgerausweis, eine Jakobsmuschel und auch gleich einen Herbergsplatz besorge, allerdings vergesse ich den ersten Stempel und werde danach den nächsten Monat noch gefragt.
In der Herberge hat jeder ein Buch zum Lesen, sehr schlau, es ist schließlich erst 6 Uhr abends, was will man die restliche Zeit machen? Daran habe ich nicht gedacht, ich habe allerdings auch kein Buch, was erstens leicht genug ist und zweitens noch genug zum Lesen bietet. Daher muss ich noch einmal in einen Bücherladen, der Verkäufer ist fröhlich gestimmt und singt in einer Tour, kann jedoch nur französisch, daher muss die Verkäuferin im Café gegenüber meinen Wunsch übersetzen. Wenige Minuten später bin ich stolzer Besitzer des Buches "The Man from Beijing" von Henning Mankell, dick und leicht, das mag ich an englischsprachigen Büchern.
Die Nachtruhe beginnt früh, alle gehen um 20 Uhr schlafen, gewöhn dich daran Christian, Gute Nacht.