Von Burgos nach Hontanas (30 km)
Gestern habe ich in der Herberge über das Internet meine Rückreise gebucht, am 29. September fliegt mich RyanAir nach Frankfurt am Main, das sollte in meinen Zeitplan passen, vor mir liegen nur noch etwa 500 km, mir bleiben also noch effektiv 19 Tage, jetzt, wo ich mein Tempo kenne.
Aufgrund meiner verletzten Sehne habe ich mir den Rat meiner Freundin zu Herzen genommen und mir heute keine große Strecke aufgehalst, nur 20 km, ihr seht bereits, dass ich das natürlich nicht einhalten konnte, der Weg treibt einen vorwärts. Ich konnte mich gestern nur mit Eric für heute um 6 Uhr vor der Kathedrale verabreden und hoffen, dass er und Judith dort auftauchen. Problematisch ist jetzt nur, dass die Herberge uns erst um 6 Uhr vor die Tür lässt, vorher sind die Pforten verschlossen, vermutlich aus Gründen der Sicherheit, Anne und Brenda warten ebenfalls ungeduldig auf Auslass.
Vor der Kathedrale erscheint Eric, gemütlich dahin laufend und nicht in Begleitung unser Kanadierin, Eric erzählt mir, dass sie früher aufgestanden ist und alleine laufen wollte, so wie ich sie kenne, ist sie dank ihrer Wanderstöcke bereits in Castrojeriz. Eric und ich kommen zu demselben Schluss und trennen uns noch in Burgos, in den Sternen steht, wann wir uns wieder sehen. Er läuft sehr langsam, ab und an ist das sein Tempo, besonders dann, wenn er sinniert und genießt. Ich muss auch langsam laufen, bin aber einen Tick schneller als Eric und versuche einen Weg aus Burgos hinaus zu finden. Die Beschilderung ist dürftig, einmal treffen wir zum Glück einen Mann, der hier wohnt, und können nach dem Weg fragen. Aber selbst danach wird es zur Schnipseljagd, aus den großen Städten hinaus zu kommen, ist unendlich schwieriger als sich bei Nacht durch die Wälder zu schlagen.
Auf einer Meseta |
Einen Morgen für sich allein zu sein, hat etwas sehr beruhigendes, im Moment brauche ich keine Gesellschaft und bin lieber für mich. In jedem Café auf dem Weg sehe ich Pilger, die ihren morgendlich Koffeinpegel erneuern müssen, die lasse ich vorerst links liegen, auch wenn die Iren und ich uns freundlich zuwinken.
Bald werde ich überholt und bin wieder solo. So geht es mehrere Stunden weiter, bis ich nach einem harten Abstieg das Dorf Hornillas del Camino erreiche und mit den anderen, die schon vor mir angekommen sind, eine lange Pause einlege. Anne und Brenda prophezeien mir, dass sie völlig außer Puste sind und von jetzt an langsamer gehen werden, trotzdem rasen sie mir davon, als würde sie der Teufel treiben.
Hinter der Meseta: Hontanas |
Es geht durch Sanbol hindurch, bis hierhin waren es die versprochenen 20 km und das wäre eigentlich das Ende für heute gewesen. Nur fühle ich mich nicht danach, meine Füße können mich gut und gerne noch weiter tragen und es geht ihnen nicht mehr so schlecht, wie vor zwei Tagen. Hinzu kommt, dass man Sanbol nicht einmal als einen wirklichen Ort bezeichnen kann, hier steht nur eine Hütte. Der Bewohner ist wahrscheinlich Clint Eastwood in seinen Westerntagen, denn die Gegend ist wie ausgestorben, es gibt kein Lebenszeichen. Hier gibt es aber eine Herberge, die jedoch kaum jemand besucht, trotzdem wird dieser Ort zumindest für eine Pause empfohlen und soll sehr gemütlich sein, Memo für das nächste Mal, denn ich will jetzt weiter.
Wir erklimmen unsere erste Meseta, das sind teuflische Biester. Wie der Ayers Rock stehen sie inmitten der flachen Einöde, es ist sowohl ein steiler Auf- als auch ein steiler Abstieg, oben sind diese Erhebungen flach wie ein Brett, leer wie eine Wüste und windig wie im Sturm. Damit betreten wir das Meseta-Plateau, wie das kastillische Hochland bezeichnet wird, statt einem einzigen tischflachen Berg; wie man sich ein kontinentales Plateau vielleicht vorstellt, ist die Meseta-Ebene in mehrere Mesetas untergliedert.
Thomas erzählte mir in Burgos, dass Hontanas nicht mehr als eine Geisterstadt wäre. Er ist diese Strecke im Winter schon einmal gelaufen und da ist es kein Wunder, dass dieser Ort wie leergefegt wirkte. Aber jetzt haben wir Spätsommer und Hontanas ist in Wahrheit sehr attraktiv, gerade weil es wie eine spanisch-amerikanische Wüstenstadt aussieht. Nachdem wir auf der Meseta ewig und vergeblich danach Ausschau gehalten haben, tauchte das Dorf plötzlich am windabgewandten Hang der Meseta auf.
Zum Abendessen konnte ich endlich wieder kochen, was auch die einzige Alternative zum Pilgermenü im Restaurant der Herberge ist. Ich habe alles, was ich besaß in den Topf gekippt. Für zwei Personen, Ruth und mich. Ruth schläft in meinem Schlafsaal, wir haben uns zuerst in Englisch unterhalten, bis sich herausgestellt hat, dass sie aus Würzburg kommt und wegen ihrer Arbeit nach Schottland gezogen ist, was sie dort macht, weiß ich allerdings nicht. Sie erinnert mich stark an meine Biologie-Lehrerin Frau Lenzner, sowohl im Aussehen als auch in der Stimme. Ich spendiere Nudeln und Soße, sie kümmert sich um Wein und Salat, gesättigt und kugelrund falle ich an diesem Abend in mein Bett und schlafe so ruhig wie ein Baby.
Jytte und ich verabschieden uns an diesem Abend, denn wir haben eine sehr unterschiedliche Geschwindigkeit und sie möchte es von jetzt an ruhig angehen. Wir wünschen uns für die kommenden Tage alles Gute und auch sonst noch ein frohes Leben, zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass es nicht nach einer Abschiedsfloskel, sondern nach Ernst klingt, und es ist nur zu ernst gemeint.
zurückgelegte Strecke: 318 km