Freitag, 3. Februar 2012

Tag 23 21.9. Nebel des Grauens

Von Barbadelo nach Ventas de Naron (33 km)
Meine Erkältung geht nicht wirklich zurück. Draußen ist es neben der Kälte auch noch sehr neblig, auf jeden Fall etwas für die Nebelschlussleuchte, aber ich bin kein Auto. Der Nebel verleiht dem Camino etwas unheimliches (daher auch der übertreibende Titel), man kann nichts sehen, der Wind lässt die Bäume rascheln, es ist zappenduster und die Eicheln fallen klackernd von den Bäumen. Meine Lampe kriegt es nicht gebacken, mir den Weg gut zu erleuchten, ich gehe also eine Weile in Finsternis, aber so verläuft man sich schnell. Bald taucht hinter mir ein italienisches Pärchen auf, beide haben gute Kopflampen und leuchten für mich mit. Als die Sonne „aufgeht“, besser gesagt, es wird einfach nur heller, verabschieden wir uns voneinander, da taucht Judith hinter mir auf und wir nehmen uns das erste Café vor, dort wird leckerer Schaumkuchen serviert. In der Morgenhelligkeit sieht die Landschaft schier unglaublich aus. Es ist recht feucht, der Himmel ist mit dichten Wolken verhangen, weiter hinten wartet der Nebel, der Weg wird von alten Felsblockmauern begrenzt. Etwa so stelle ich mir Großbritannien zur Römerzeit vor, mein Bild im Kopf ist vielleicht etwas zu mystisch.
Das alles hält jedoch nicht sehr lange an, schon bald sind wir in Portomarin. Die Stadt hat eine seltsame Geschichte. In den 60er Jahren wurde die Mauer des Belesar-Stausees errichtet. Die Stadt am Rande des Miño versank im aufgestauten Wasser. Hier wurde diesmal die Kirche nicht im Dorf gelassen, wie das Sprichwort eigentlich nicht lautet, beide Ortskirchen wurden Stein für Stein abgebaut und weiter hangaufwärts im neuen Dorfkern neu errichtet. Die Kirche sieht aber für meine Begriffe nicht schön aus, aber der Stempel ist toll.
Selbst in dieser Stadt kann man sich aus den Augen verlieren, Judith macht sich kurz vor mir auf den Weg, ich glaube sie zieht rasch durch die Geschäfte. Und dann ist sie wie vom Erdboden verschwunden, von hier oben hat man einen guten Überblick über den Camino, nirgends ist die Kanadierin zu entdecken, dann eben alleine. Man muss wieder runter, über den Fluss und gleich wieder hinauf in die Weinberge. Ich werde von zwei Fahrrädern überholt, dem einen Radfahrer reißt mit einem lauten Knall die Kette, nach ein paar Minuten ist sein Gefährt repariert und sie können weiter. Hut ab vor Radpilgern, von denen kommen tagsüber viele an uns vorbei. Man muss sich den Camino mit den Fußpilgern und den Autos teilen, die Wege sind oft in einem schlechten Zustand und wenn etwas schief geht, dann so richtig. Kurz bevor ich wieder zu Hause war, sind meine Nachbarn nach Spanien gereist, um den Jakobsweg mit dem Rad abzufahren.
In den Weinbergen kann ich leider nur vereinzelt Trauben herauspicken, die Bauern haben einen Abwehrmechanismus gegen Nascher wie mich installiert, Stacheldraht, aber auch nicht überall.
Ich wollte es in Hospital de la Cruz versuchen, aber dieses Nest hat wirklich nur die Herberge, zwei Häuser und eine Bar, da geh ich doch lieber noch eineinhalb Kilometer weiter bis Ventas.In Ventas de Naron gibt es zwei Herbergen, leider hat keine einzige eine Küche und eine ist schon voll, eine Wahl bleibt mit nicht, denn weiter will ich auch nicht. Und wie es der Zufall will, sind hier auch Nicolien und Thomas, dazu mache ich die Bekanntschaft mit Lena und Bernd. Wir kennen uns vom Sehen, beide schliefen in der Herberge in Fonfria, wo wir vorgestern gerastet hatten. Während ich auf Judith warte, pflücke ich die Brombeeren von den Büschen am Straßenrand, davon gibt es mehr als genug. Ein Radpilger meint, ich solle nicht zu viel davon essen, da man durch übermäßigen Genuss auch betrunken werden kann. Kann man das?
Auf der Brücke von Portomarin
Zum Abend sitzen wir zusammen am Tisch und kreiren einen Mix aus Englisch und Deutsch, damit alle etwas davon haben, auch wenn wir eigentlich alle Englisch können, bei vier Deutschen am Tisch rutscht man häufig in die eigene Sprache. Lena und Bernd haben vor kurzem geheiratet und laufen den Jakobsweg in den Flitterwochen, ungewöhnlich, aber sicher cool. Beide waren sich nicht sicher, ob sie den gleichen Laufstil haben, aber anscheinend gibt es dort keine Schwierigkeiten.
Wir sitzen heute das letzte Mal in dieser Konstellation zusammen, das wissen wir jetzt noch nicht, aber ich sollte es jetzt schon erwähnen. Morgen will ich möglichst früh aufstehen und noch ein paar Kilometer reißen, umso weniger bleiben mir dann für übermorgen. Judith und ich werden uns nie wieder sehen, auch das weiß ich jetzt noch nicht.
Nicolien glaubt mir kein Wort, als sie mich nach Judiths Alter fragt und ich ihr antworte, also ruft sie der schlafen gehenden Kanadierin hinterher: „Judith, how old are you?“
„I’m 39, good night everybody.“
v.r.: Thomas, Ich, Lena, Bernd
Judith, Nicolien
„No you’re kidding, right?“ Sie wendet sich mir zu: „She is kidding, doesn’t she?“
Nicolien ist 31 und sieht aus wie 25, Thomas ist 33 und könnte auch in den Zwanzigern spielen. Bei Bernd und Lena habe ich mich sowieso gehörig verschätzt, beide sind um die 30 und ich dachte, dass sie nur ein paar Jahre älter sind als ich und noch studieren, weit gefehlt.

zurückgelegte Strecke: 719 km

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