Dienstag, 7. Februar 2012

Tag 27 25.9. Auf dem Sternenweg

Von Santiago de Compostela nach Vilaserio (34 km)
Ich habe geschlafen wie ein Stein, der Alkohol macht’s möglich, zum Glück gibt es keinen Kater, mit dem hätte ich nicht laufen wollen. Lena und Bernd sind wahrscheinlich noch nicht auf der Straße, sie meinten gestern, dass sie vor sieben Uhr keinen Fuß vor die Tür setzen.
Die Klamotten, die ich am Vortag gewaschen habe, sind weit von der Trockenheit entfernt, ich muss sie an meinen Rucksack hängen, der dadurch zum mobilen Wäscheständer mutiert.
Heute verlasse ich den Camino de Santiago und laufe nun auf dem Sternenweg, der von Santiago zum Kap de Finisterre führt.
Ziemlich genau gemessen
Urplötzlich verlasse ich die Straße, überquere einen verwilderten Bach und stehe im Wald, aber ich bin irgendwie immer noch in Santiago. Der Wald ist groß, dicht, finster und führt steil und geröllig auf den Berg, von dem aus man einen zauberhaften Blick auf die schlafende Altstadt und die sich dahin windende Autobahn hat. Ab heute gehe ich mehr oder weniger blind. Ich habe es mir zügig abgewöhnt, die nächste Etappe am Vorabend zu lesen und die Karte zu begutachten, aber ich konnte immer nachsehen, falls ich meine Position wissen wollte. Mein Reiseführer geht jedoch nur bis Santiago, das reicht auch völlig, weiter wollte ich ursprünglich schließlich nicht. Für die folgenden drei Tage habe ich mir von Susanne die Etappen aus ihrem Reiseführer herausgeschrieben, die hauen aber nicht wirklich hin. Lenas Herbergenkatalog geht bis zur Küste, dort konnte ich schon mal herauslesen, wo ich überhaupt schlafen kann, über den Daumen gepeilt bleibt mir da nur Vilaserio.
Die Beschilderung auf dem Sternenweg ist mäßig, aber ausreichend, besonders witzig finde ich die Markierungssteine, die die Entfernung zum Kap de Finisterre auf den Meter genau angeben können. Hat hier etwa jemand gewissenhaft und korrekt vermessen? Leider fehlen die meisten dieser Schilder, wahrscheinlich weil sie von Andenkensammlern heraus gemeißelt wurden.
Eigentlich könnte man meinen, da es ja nur noch an die 90 Kilometer bis zur Küste sind, dass wir uns allmählich auf Meeresniveau begeben. Weit gefehlt, der Sternenweg trumpft mit allerlei gewundenen und ansteigenden Straßen auf, die sich lieblich durch die Eukalyptuswälder schlängeln. Diesen Teil mag ich am liebsten, es ist unheimlich ruhig, die einzigen Geräusche macht der Wind und vielleicht ein verirrter Vogel, nirgendwo treffe ich eine Menschenseele, in den Dörfern, die ich durchquere, hält sich niemand auf der Straße auf. Dieser Weg ist lange nicht so überlaufen wie der Camino francés, das ist sehr angenehm.
In Negreira ist gerade Markt, an einem Sonntag, die Stadt sah erst sehr klein aus, und schien nur einen Park zu haben, besser gesagt war es ein grüner Fleck zwischen zwei großen Straßen. Am Springbrunnen habe ich meine Reserveflasche für die Pause aufgefüllt und wenig später einen hübschen Park in der Nähe des Marktes gefunden. Viele Menschen sind auf den Beinen, strömen zum Markt hin, die andere Seite wieder zurück, mal abgesehen von diesem Ort, ist dann aber auch nichts los. Während ich auf der Parkbank die Füße hochlege, kann ich eine Franzosengruppe beobachten, die auch ihr Päuschen macht. Des Öfteren werfen sie fragende Blicke zu mir hinüber, ich kann schon fast von zehn rückwärts zählen, bis einer von ihnen auf mich zukommt und mich auf Französisch anspricht.
„Tut mir leid, ich spreche kein Französisch, aber Englisch“, antworte ich auf die unverständliche Frage.
„Wo geht es auf den Jakobsweg?“
„Sie gehen die Straße, von der Sie kommen, einfach weiter geradeaus. Am Ende der Straße sollte es dann einen Wegweiser geben, sofern Sie zur Küste wollen.“
Er bedankt sich und kehrt zu seiner Gruppe zurück. Die eine Frau schnattert auf ihn ein und schickt ihn wieder zu mir zurück.
„Sind Sie von Santiago aus hierher gelaufen?“, fragt er interessiert. Will das jetzt die Frau wissen, oder er? Es stellt sich heraus, dass sie von Santiago aus den Bus hierher genommen haben und den Rest bis zur Küste zu Fuß zurücklegen werden.
Es sind jetzt noch angeblich elf Kilometer bis nach Vilaserio, aber ich habe weder den blassesten Schimmer, wo ich mich befinde, noch wie viel Weg ich bereits zurückgelegt habe. Es gibt keine Angaben mehr, ich wüsste schon gerne, wie lange ich noch unterwegs bin. Die einzigen Pilger, die ich treffe, sind die, die mir entgegen kommen. Es hat den Anschein, dass manche wieder von Finisterre zurück nach Santiago laufen. Warum auch nicht, wenn man genug Zeit hat? Die Landschaft ist schließlich großartig. Ich frage ein englisches Pärchen, ob ich auf der richtigen Route bin, und siehe da, ich habe nur noch einen lausigen Kilometer vor mir, Vilasereio taucht bald darauf hinter einer Biegung im Wald auf. Die Herberge ist ein Loch, es handelt sich um ein ausgedientes altes Haus, wahrscheinlich eine ehemalige Turnhalle, denn an den Wänden lehnen Sportmatten. Was heißt schon Loch, die Matratzen sind weich, man kann sich duschen und auf Toilette gehen, das reicht aus. Vor der einzigen Bar und der anderen, jedoch privaten Herberge, erscheinen nach kurzer Zeit Lena und Bernd.
Wir verabreden uns auf den Abend, denn jeder von uns muss sich erst einmal ausruhen. Mit in meiner Herberge sind noch drei andere Deutsche, der eine leiht mir seinen Reiseführer, der bis Finisterre geht und ich fotografiere die letzten Seiten mit Wegbeschreibung ab, nur zur Vorsicht.

zurückgelegte Strecke: 832 km

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen