Mittwoch, 8. Februar 2012

Tag 28 26.9. Hinab zum Meer

Von Vilaserio nach Cee (40 km)
Eine neue Premiere, ich muss um vier raus, oder eher, ich will um vier raus. Vor uns liegen 40 Kilometer bis nach Cee, die würde ich gerne früh hinter mir haben, nicht nur, weil die Herbergenplätze sehr begehrt sind, sondern weil ich einfach nicht so spät ankommen möchte. Mucksmäuschenstill schleiche ich mich aus der Herberge und laufe die Straße hinunter, während ich mein Bocadillo esse. Heute Morgen herrscht der stärkste Nebel, der mir je untergekommen ist, meine Taschenlampe bringt überhaupt nichts, denn das Licht bricht sich an den gefühlten drölfzig Milliarden Wassertröpflein. Quasi nur eine Handbreit vor meinen Augen erscheint dann alles milchig weiß, ich erkenne mit Licht noch weniger als ohne, denn in der nebligen Dunkelheit kann ich wenigstens noch ein paar Meter weit sehen, mit Licht nicht einmal einen halben.
Sonnenaufgang
Zum ersten Mal habe ich mich ernsthaft verlaufen. Hinter einem Ort, der keinen Namen hat, hätte ich links abbiegen müssen, nur weiß ich das nicht. Stattdessen laufe ich nach rechts, sehen kann ich sowieso nichts, irgendwann endet die Straße an einer Absperrung, man kann aber links auf einen Feldweg ausweichen, dem ich notgedrungen folge. Seinem Namen gerecht werdend, endet der Feldweg auf einem Feld und ist dort nicht zu verfolgen. Wo zur Hütte bin ich? Ich kann nicht sehen, wie groß das Feld ist, denn mich umhüllt ja die dichte und gewaltige Nebelbank. Ich gehe zur Straße zurück und steige über die Absperrung, eine Straße sollte am Ende schließlich ein Ziel haben. Diese nicht, sie endet nach einigen hundert Metern vor einem strauchigen Abgrund. Offenbar bin ich falsch abgebogen, alle anderen Möglichkeiten sind ausgeschöpft, aber bin ich denn auch im richtigen Dorf? Der Dummheit folgt die Strafe auf den Fuß, an der T-Kreuzung erscheint der blaue Pfeil (blau für Sternenweg?), der nach links zeigt. Zu Hause habe ich in GoogleMaps nachgesehen, was ich in Spanien verzapft hatte, der rechte Weg verläuft sogar im Kreis, das habe ich nicht einmal mitbekommen, und auf dem Feld hätte ich nur geradeaus gehen müssen, vielleicht auch durch das Unterholz, und wäre wieder auf der Straße gelandet.
Gegen acht Uhr wird es hell und ich stehe an einem Berg, den ich komischerweise nicht überqueren soll, obwohl der Jakobsweg dahinter weiter läuft. Stattdessen führt mich die Straße außen herum, finde ich im ersten Moment unnötig, im zweiten aber famos. Denn jetzt, wo die Sonne aufgeht und sich der Nebel lichtet, habe ich einen perfekten Blick auf die Nebelbank, die sich im Osten auftürmt, während die gelb brennende Sonne hinüber klettert und die Nebelfetzen violett einfärbt.
Zur Halbzeit in Olveiroa suche ich die Herberge auf, es ist zwar erst 11 Uhr, aber es wäre doch schön, wenn ich meine letzten Nudeln in der Herberge verkochen könnte, denn dort soll es eine Küche geben. Die Besitzerin ist im Moment mit Putzen beschäftigt und meint, wenn ich die Küche benutzen möchte, sollte ich mich noch drei Stunden gedulden. Das ist mir zu lange, ich bediene mich eher aus meinem Rucksack mit Brot, Wurst und Käse und ziehe eine halbe Stunde später weiter.
Nach Muxia oder Finisterre?
Dieser Abschnitt des Camino landet auf Platz zwei der besten Strecken. Ich bin heilfroh niemanden zu sehen und konzentriere mich voll und ganz auf die Landschaft, ich fühle mich in die Berge vor Ponferrada zurück versetzt, ebenso wie dort laufe ich nun über baumlose, nur mit Sträuchern und latschenkieferähnlich bewachsenen Bergkuppen, der Blick ins Tal offenbart einen Strom, der sich durch die Bergflanken gräbt.
Diese Idylle wird kurz unterbrochen durch das Dorf Logoso, wo ich das zweite Schwein des Weges treffe, das auch einen unerträglichen Gestank verbreitet. Der Ort liegt tot in der Gegend rum und wird durch Hospital fortgesetzt. Der hiesige Brunnen enthält wohl kein Trinkwasser, zumindest steht dort, dass man besser nicht davon kosten sollte. Dahinter gibt es eine einsame Bar, zu Füßen einer Fabrik, dort kann sich der beinahe verdurstende Pilger stärken. Ich lasse sie links und laufe zu der Stelle, an der ich mich endgültig entscheiden muss, ob ich nach Finisterre oder nach Muxía wandere. Das Heiligtum von Muxía ist sicher eine Augenweide, ich höre davon nur Gutes, mein Zeitrahmen lässt leider nicht den Besuch beider Orte zu und Finisterre reizt mich mehr, es ist immerhin das „Ende der Welt“. Also gehe ich nach links.
Endlich am Meer
Der Weg verlässt die Landstraße und die Fabrik, schlägt sich nach rechts in die wilden Felder und trockenen Berge. Es ist erneut ein weitgehend wasserloser Tag, aber nicht wirklich heiß. Eine Beschilderung ist hier eigentlich nicht mehr wirklich nötig, der Trampelpfad führt nur in eine Richtung, über Stock und Stein.
In der Ferne kann ich bereits das Meer erkennen, vielleicht auch das Kap, aber da bin ich mir nun wirklich nicht sicher. Cee rückt immer mehr in Sichtweite und jetzt kommt auch das Gefälle, auf den letzten zwei Kilometern geht der Weg gut 500 Höhenmeter auf das Meeresniveau herunter. Cee liegt zu Füßen der Berge, denen direkt der Ozean vorgelagert ist, teilweise wächst die Stadt auch auf die Berge hinauf.
Ich weiß nicht, wo die Herberge ist, ich habe gestern eine Karte vom Camino de Fisterra gesehen, deswegen denke ich, dass ich Richtung Norden muss, zu meiner Rechten also. Soweit liege ich damit richtig, die Beschreibung im Reiseführer haut nicht ganz hin, ich muss mich erneut durchfragen, am besten wissen die immer in einer Bar Bescheid. Die Herberge hat eine Küche, liegt direkt neben der Polizeistation und hat geschlossen, wegen Renovierungsarbeiten, könnten aber auch Abrissarbeiten sein, denn das Gebäude sieht furchtbar aus.
Lena und Bernd in Cee
Nun ja, jetzt weiß ich nicht wohin und auch nicht, wo ich eine andere Herberge finden kann, in Cee kenne ich mich überhaupt nicht aus und bin auf diese Situation nicht vorbereitet. Auf der Straße treffe ich ein Pilgerehepaar, die sich ebenfalls eine neue Bleibe suchen müssen. Zumindest der Mann kann sich auf Spanisch verständigen und erfragt die Richtung zu einer privaten Unterkunft. Wir finden eine, die zum Hotel Izra gehört, die Herberge ist sehr gut geführt und macht einen guten Eindruck. Nachdem ich mich geduscht habe und gerade zum Schlafen niederlegen will, betreten Bernd und Lena den Raum, die beiden haben es gar nicht erst in der öffentlichen versucht, schlau von ihnen. Die Herberge ist nur zur Hälfte voll, wir können uns ordentlich breit machen, finde ich praktisch, denn meine Klamotten müssen noch trocknen, da ist es besser, wenn ich die über das komplette Bettgestell verteilen kann.
Zum Abend setzen sich Lena und Bernd in eine Pizzeria, ich schließe mich beiden nach meiner Streiftour durch Cee an. Ich muss schon sagen, ein bisschen erinnert es mich an Cannes. Wir schauen am Strand vorbei und stecken die Füße in das eiskalte Atlantikwasser, es ist wirklich sehr kalt, aber das wird mich nicht davon abhalten morgen baden zu gehen.

zurückgelegte Strecke: 872 km

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen